Wie lange Stillen?
Das TIME-Magazine hat mal wieder einen Aufsehen erregenden Titel:
ARE YOU MOM ENOUGH?
Magazin . August. 2016

Hier geht es also darum, wie viel Mutter man sein soll, darf, muss …, um “das Allerbeste” für das Kind zu erreichen. Hintergrund und Thema im Heft sind die Theorien William Sears´, der seit vielen Jahren zum Thema “Bindung” und Bedürfnisse kleiner Babys forscht und publiziert (auf deutsch erschienen “Schlafen und Wachen”, “Das 24-Stunden-Baby” und weitere mehr) und sicher Bahnbrechendes auf diesem Gebiet geleistet hat.
Viele seiner Ergebnisse mündeten in die neueren Empfehlungen, den kleinen Babys so viel Nähe wie möglich zu gönnen, Co-Sleeping (also das gemeinsame Schlafen in einem Bett), viel Tragen in Tuch oder Tragehilfe, langes Stillen sind wesentliche Bestandteile.
So, und nun mal wieder ein schönes Titelbild, das offenbar Tabus berührt: SO ein großes Kind (es ist fast vier Jahre alt) stillen? Ist das nicht pervers? Will das das Kind – oder die Mutter? Mir gefällt besonders, dass es eben eine junge, ausgesprochen attraktive “Großstadtmum” ist, also keine Ökoglucke à la “Mama Kelly”. Ja, so sehen sie aus, ob in New York oder eben Hamburg-Ottensen oder Berlin-Mitte. Und durchaus einige (als Hebamme weiß ich um die hohe „Dunkelziffer“) stillen ihre “größeren Babys”.
In der in den US-Blogs entbrannten Diskussion geht es viel um die Selbstbestimmung oder auch Selbstaufgabe der Mütter, die empfundene Selbstaufgabe durch die Bedürfnisse der Kinder, all das.
Und darum, wie viel Nähe ein Baby eben braucht. Und dass dies meistens einiges mehr ist als das, was Frauen üblicherweise als “nicht fremdbestimmt” wahrnehmen. Wenn man es als “(noch)-nicht-Mutter” so liest oder hört, kriegt man so richtig Schiss. So eine kleine Klette permanent an mir dran, in meinem selbstbestimmten Leben! OmG! All das kann man sich vermutlich sowieso noch nicht vorstellen.
Tja, und wo ist da ein guter Weg, für die Mütter, für die Kinder? Und wo ist die Schnittmenge, der Punkt, an dem so viele verschiedene Bedürfnisse wie möglich unter einem Hut zusammen kommen?
Selbstverwirklichung – ist das egoistisch? Was bedeutet das plötzlich mit Kind? Wie viele Opfer muss die “moderne Mutter” bringen? Wie viel Verzicht ist von Seiten des Babys möglich, auf konsequente Nähe, auf Mama stets und immer, so wie es eben noch im evolutionären Muster Grundbedürfnis ist? Und Grundbedürfnis meint per definitionem: Nicht verhandelbar?
Wie sehr rede ich es mir schön, dass die Kita für wenige Monate alte Babys “ganz toll und bestimmt total frühfördernd, soziale Kompetenzen und so!” ist?
Glauben Sie mir: ALL die Langzeitstillenden, die mir als Hebamme begegnen, hätten zuvor gesagt: “Ich stille xy-Jahre lang? Niemals!” Schmunzel. Es gibt eine unfassbar hohe Dunkelziffer an lange gestillten Kleinkindern!
Nur findet das eben meist komplett unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, zuhause, im Bett, auch nicht im Café oder Spielplatz – und schon mal gar nicht auf dem Titel eines Blattes mit Welt-Aufmerksamkeit. Deshalb bricht es mit beidem: mit dem Klischee einer attraktiven, toughen, stylishen Frau und mit dem Klischee einer fürsorglichen Mutter, die sich und ihren Körper ihrem Kind zur Verfügung stellt.
Spannendes Thema, immer wieder, und kaum eines, wo die Mütter so sehr zu Experten und vehementen Verfechtern des eigenen Weges werden. Sehr schön. Allein deshalb finde ich es klasse.
Und Sie? Sind Sie Mutter genug?
Viel Spaß beim Finden eines eigenen Weges!