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Männer im Kreißsaal

In heterosexuellen Beziehungen sind in Deutschland fast 90 Prozent der werdenden Väter bei der Geburt dabei. Wenn ich an dieser Stelle von »Männern« schreibe, meine ich in erster Linie den cis-heterosexuellen Mann als Partner der gebärenden Frau, werdende Väter also. Zu queeren Paaren gibt es zur Geburtsbegleitung so gut wie gar keine Literatur. Die Empfindung von erlebten oder zugeschriebenen Geschlechterrollen ist in nicht-heterosexuellen oder nicht-binären Kontexten sehr wahrscheinlich eine andere als die hier beschriebene.

VON Kareen Dannhauer

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Viele Väter möchten die Geburt ihres Babys mit ihrer Partnerin gemeinsam erleben und sie nach Kräften bei dieser harten Geburtsarbeit unterstützen, wenngleich auch gemischte Gefühle durchaus an der Tagesordnung sein dürften. Die meisten dieser Väter beschreiben dies als klaren, eigenen Wunsch. Auch der »gesellschaftliche Druck«, dass es also die statistische Normalität ist, dass Partner ihre Frauen begleiten, spielt natürlich eine Rolle, zumindest wird es Männern dadurch nicht einfacher gemacht, auch ihre Ambivalenzen und Zweifel zu thematisieren. Immerhin 13 Prozent aller Männer sagen, dass ein »Nein« keine ernsthafte Option sei.

Mit »Unterstützung« assoziieren wir oft zuerst Dinge im konkreten und handelnden Sinne. Mache dir bewusst, dass deine Möglichkeiten für die Begleitung einer Geburt im »aktiven Handeln« gleichzeitig sehr begrenzt sind. Für alle geburtsbegleitenden Menschen ist das schwer, das gilt sogar für die professionelle Begleitung.

Das Wesen einer Geburt ist tatsächlich sehr viel passivischer, als es auf den ersten Blick scheint, und zwar für alle Beteiligten: Die große Aufgabe der Frau unter der Geburt ist Loslassen, Geschehenlassen, Kontrolle-Abgeben – oder es sich zu gestatten, sie zu verlieren. Auch für uns Geburtshelfende geht es darum, die Frau in ihrem Gebären zu unterstützen, ohne das intuitive Geschehen zu stören. Das heißt oft: Nicht etwas tun im klassischen Sinn. Das gilt auch für dich: Machen, um das Gebären zu erleichtern, kannst du eigentlich nichts. Das ist ungewohnt, wir haben uns so viele Strategien erarbeitet, um die Kontrolle zu behalten über unser Leben. Bei einer Geburt zerbröselt das alles.

Menschen, die eine Geburt begleiten und die Außenperspektive erleben, nehmen in Kauf, auch Situationen von Überforderung zu erfahren. Sie haben vielleicht zwischendurch Zweifel, dass alles gut läuft, oder dann doch Schiss, dass etwas Unvorhergesehenes passieren könnte. Oder sind einfach unsicher, was denn von ihnen erwartet wird.

Die Aufgabe für die Begleitperson ist das empathische Da-Sein, das Begleiten dieser hoch aufgeladenen, maximal emotionalen Situation. Dazu ist es hilfreich und wichtig, wenn auch du Vertrauen gefunden hast in die Fähigkeit einer Frau zu gebären und in die Robustheit von Babys, geboren zu werden. Und zu verstehen, wie wichtig es ist, dass die gebärende Frau in ihrer Trance unterstützt und beschützt werden muss, damit sie diesen Zustand halten kann. Dafür ist unter anderem ein gemeinsamer Geburtsvorbereitungskurs hilfreich. Sämtliche Unwägbarkeiten, die eine Geburt mit sich bringen könnte, werden dort erklärt, und es werden dabei diverse Mythen und Sagen entzaubert. Das kann ausgesprochen beruhigend sein: Die Nabelschnur um den Hals bedeutet keine Lebensgefahr für das Baby, eine Saugglocke ist kein merkwürdiges Instrumentarium, mit dem das Baby aus den Tiefen der Frau herausgezogen wird, es spritzt auch kein Blut, und das Baby kann nicht im Geburtskanal stecken bleiben.

In einem Geburtsvorbereitungskurs erfährst du wichtige Dinge über die Intensität einer normalen, aber auch heftigen Geburt. Du bekommst eine Ahnung davon, wie Wehen eine Frau und ihr Verhalten verändern, wie ekstatisch und laut eine Geburt sein kann, eben davon, wie sich kraftvolles, gesundes Gebären anhört und darstellt. Und das ist gut zu wissen, damit du wirklich realistisch einschätzen kannst, was da auf dich zukommt – und dass das ganz normal und vollkommen gesund ist. Wissen hilft.

Dennoch macht Nichtstun oft hilflos. Rechne also mit dem Gefühl von »daneben stehen und nichts tun können« – das ist, je nach Persönlichkeitsstruktur, für nicht wenige Männer (und Frauen) eine wirkliche Herausforderung. Vor allem in der Übergangsphase, in der Frauen wirklich das erleben, was man gemeinhin »Grenzerfahrung« nennt, und manchmal sehr intensiv an dem Punkt kämpfen, an dem es »um alles geht«. Manche Frauen wollen dann kurzfristig einen Kaiserschnitt oder mindestens eine PDA, nach Hause oder wahlweise auch sterben. Das aus dem Mund der geliebten Frau zu hören, ist sicher wirklich heavy. 80 Prozent aller Männer geben an, davor Respekt zu haben – kein Wunder. Und doch: Vertraue. Auch das gehört dazu.

Du hast Anteil an einem wahrhaft archaischen Erlebnis und bist selbst Teil davon. Es ist eine starke gemeinsame Erfahrung, die euch miteinander verbindet. Du musst keine bestimmte Rolle erfüllen, du bist einfach da und Teil des Ganzen.


Ganz praktische Dinge für alle Begleitpersonen im Kreißsaal

  • Als Allererstes: Richte den Kreißsaal mit allem ein, was ihr mitgebracht habt, das volle Programm: die richtige Playlist aktivieren, Massageöl auspacken und aufschrauben, Kerze anzünden, Tee einschenken, Kissen aufschütteln, Licht dimmen. Nehmt den Kreißsaal in Beschlag, und bringt etwas Eigenes, Lebendiges hinein. Mach dich nützlich – das hilft, die Anfangsnervosität abzubauen.
  • Bitte die Hebamme um einen Pezziball und eine Matte sowie um so viele Kissen wie möglich und richte auf dem Fußboden eine »Wehenlandschaft« ein, die mehr parat hält, als nur »im Bett liegen«. All das habt ihr in einem guten Geburtsvorbereitungskurs gelernt.
  • Transparenz und Kommunikation ist wichtig. Wenn du ernsthafte Sorgen hast, »ob alles okay ist«, zögere nicht und stelle der Hebamme diese Frage. Am besten draußen vor der Tür.
  • Eine Geburt kann dauern– lange. Kläre mit dem Personal, wo es auch für dich einen Platz gibt, an dem du dich ausruhen und Kraft schöpfen kannst, dich erfrischen, etwas essen, duschen, einen Espresso trinken. Gönne dir Pausen, wenn du sie brauchst, gehe zwischendurch an die frische Luft, und lasse dir kurz den Kopf frei pusten, wenn dir danach ist. Sage immer der Hebamme Bescheid, damit sie weiß, dass deine Frau gerade allein ist.
  • Wenn die Geburtssituation festgefahren erscheint und du durch das, was du zum Beispiel im Geburtsvorbereitungskurs oder irgendwo sonst gehört hast, den Eindruck hast, ein Ortswechsel (zum Beispiel in die Badewanne oder auf den Pezziball) oder eine andere Körperhaltung (knien, Vierfüßler) könnte die eingefahrene Situation wieder beleben – schlage das ruhig vor. Gebärende Frauen sind in der Situation manchmal nicht so besonders kreativ. Und frage auch die Hebamme konkret danach.
  • Was du noch tun kannst: Hilfe bei Lageveränderungen und Wehenpositionen, beim Aufstehen, beim Gang zur Toilette. Die Lippen, das Gesicht, die Stirn mit einem dicken Waschlappen kühlen oder befeuchten, das Kreuzbein massieren – möglicherweise Stunden am Stück –, Schmerzpunkte massieren. Festhalten, motivieren, anspornen, beschwichtigen, bestärken. Mitatmen, Halt geben, liebkosen, Hand halten. Äpfel schütteln. Wasser oder Tee anbieten.

Alles Wohlmeinende kann in dieser Grenzsituation aber auch einmal zu viel sein: Rechne dabei durchaus mit unwirschen Reaktionen (»Atme mich nicht so an!«, »Nicht anfassen!«). Gebärende geben sehr authentische Hinweise, was gerade guttut – und was nicht. Und manchmal ist dann Still-daneben-Sitzen eben genau das, was gerade richtig ist.

Eine Geburt ist ein tief berührendes Erlebnis, und das auf allen denkbaren Ebenen in ungeahnter Intensität. Wenn ihr den Weg geht, sie zu teilen, ist es auch eine starke gemeinsame Erfahrung, die euch lebenslang begleiten wird.


Erfahrungen von Vätern

Es gibt nicht besonders viele Untersuchungen, die sich systematisch mit dem Geburtserleben von Vätern beschäftigen. Ein paar Zahlen und Fakten aus Befragungen von Vätern sind aber bestimmt interessant:

  • Die meisten Väter haben intensive und positive Erfahrungen: 98 Prozent sagen, sie seien glücklich, dabei gewesen zu sein. Sie schildern intensive Gefühle von Freude, Erleichterung und Rührung. Viele Männer sagen, ihre Teilhabe bei der Geburthabe ihren Respekt gegenüber ihrer Partnerin erhöht.
  • Auch die Gleichzeitigkeit ganz unterschiedlicher oder gar konträr empfundener Emotionen ist typisch für eine Geburt, für alle Beteiligten. Dies trägt auch dem Rechnung, was Väter berichten: Neben den oben genannten 98 Prozent, die die Geburt insgesamt großartig fanden, sagen 56 Prozent ebenfalls, ihre überwältigendste Erinnerung an die Geburt sei die an den Schmerz, den ihre Partnerin ertragen musste, und die eigene Unfähigkeit, ihr dabei zu helfen. Auch negative Gefühle kommen durchaus vor: Hier werden Angst um das Leben von Frau und Kind, Schock, Hilflosigkeit am häufigsten genannt. Gegenüber dem neugeborenen Kind dominierte meist tiefe Freude und Rührung – es traten aber auch Hilflosigkeits- und Entfremdungsgefühle auf. Eher selten – aber auch das gibt es – wurden Erschrecken über den Anblick der Vulva bei der Geburt, das Blut, die Plazenta oder das Aussehen des Neugeborenen geäußert.
  • Männerversuchen tendenziell, die eigenen negativen Gefühle vor ihren Partnerinnen zu verstecken, um diese nicht noch zusätzlich zu belasten. Wahrscheinlich klug in diesem Moment.
  • Männer scheinen nach der Geburt eher nicht die Kriterien für eine Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) zu erfüllen, bei Frauen ist das zu 1 bis 3 Prozent der Fall.
  • Einzelne Symptome (z.  Déjà-vus nach Triggerreizen, Derealisationsgefühle, Entfremdung, Einschränkung emotionaler Reaktionen) werden gelegentlich berichtet. Ein höheres Risiko besteht bei Männern, die sich zur Anwesenheit bei der Geburt gedrängt fühlten.
  • Eine PDA für die Frau reduziertStress und Angst für die Männer und verbessert ihre Zufriedenheit mit dem Geburtserlebnis.
  • Einige Männer berichten genau dazu von einem Loyalitätskonflikt: Sie wünschen sich einerseits eine schnelle Beendigung des angenommenen Leidens der Frau. Nicht wenige Frauen aber wünschen sich explizit eine Geburt ohne PDA. Gerade dann, wenn Frauen sehr in Gebärtrance sind und scheinbar nicht mehr gut rational zugänglich, fürchten Männer, die Situation nicht richtig einschätzen zu können und vielleicht gegenüber dem Klinikpersonal Maßnahmen einzufordern oder ihnen zuzustimmen, die ihre Frau ursprünglich nicht gewollt hat.
  • Das fast schon standardisiert-symbolhafte Durchschneiden der Nabelschnur durch den Vater wurde von immerhin 10 Prozent der befragten Männer nicht gewollt.

Offenbar gibt es aber neben aller Liebe auch größere geschlechtsbezogene Unterschiede in der Geburtsbegleitung durch Männer oder durch Frauen, als man annehmen möchte:

Weibliche Begleitpersonen, vor allem gebärerfahrene Frauen, haben offenbar besonders gute Qualitäten, eine Frau bei der Geburt zu unterstützen. Beobachtungsstudien zeigen, dass begleitende Frauen tatsächlich mehr Zeit mit der Gebärenden verbringen, sie viel mehr berühren und mehr mit ihr sprechen als männliche Partner (95 Prozent vs. 20 Prozent der Zeit). Über die Gründe könnte man spekulieren: Schöpfen diese begleitenden Frauen aus ihrer eigenen Geburtserfahrung und wissen vielleicht besser, was ihnen gutgetan hat oder hätte? Sind Frauen empathischer? Haben Frauen weniger Angst vor körperlicher und emotionaler Intensität? Begleitende Frauen nehmen beim Voranschreiten der Geburt und der Intensivierung der Wehen auch zunehmend Kontakt zur Gebärenden auf, während männliche Partner dazu neigen, sich gerade dann zurückzuziehen oder sogar den Kreißsaal zu verlassen. Wenn während der Wehen eine kundige weibliche Begleitperson (z. B. eine Doula) präsent ist, verhalten sich Männer gegenüber ihren Partnerinnen stärker unterstützend, als wenn keine Geburtsbegleiterin anwesend ist, und die Geburt verläuft mit signifikant weniger Interventionen.

Vielleicht kann auch das eine Idee sein: ein Begleitungsteam. Vielleicht fühlt es sich gut für euch an, wenn deine Schwester, beste Freundin oder Doula zusammen mit dem Vater die unterstützende Begleitung ist? Überlegt gemeinsam, ob das ein entlastender Gedanke sein kann.

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